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Die Nibelungenkaserne

Von der NS-Kaserne zur Internationalen Begegnungsstätte

Prof. Dr. Bernhard Löffler

Gebäude können Geschichten erzählen. Sie zeugen von dauernden Veränderungen und Konversionen, Bauten werden umgenutzt und umgedeutet. Zugleich haben sie einen festen materiellen Bestand, stehen sie für Kontinuitäten über zeitliche Umbrüche hinweg. Mit diesem Nebeneinander von Beharrlichkeit und Wandel im Spiegel eines markanten Gebäudekomplexes beschäftigt sich diese Website. Im Zentrum stehen die Regensburger Nibelungenkaserne und ihre wechselvolle Geschichte vom kriegerischen NS-Bau bis zum modernen Internationalen Gästehaus.

Die Nibelungenkaserne wurde 1939 bis 1941 als letzte der Regensburger Kasernen unter Regie der Luftwaffe errichtet und diente als Stützpunkt der Flugabwehr-Artillerie, nicht zuletzt zum Schutz der Messerschmitt-Werke. Nach dem Krieg ging sie in den Besitz der US-Amerikaner über, wurde nach einem gefallenen US-Piloten in „Fort Skelly“ umbenannt und beherbergte bis Mitte der 1960er Jahre ein US-Regiment. 1965 übernahm dann die Bundeswehr das Gelände und behielt es bis 2007/10. Erst seitdem trug die Kaserne den Namen Nibelungenkaserne – nicht die Nationalsozialisten haben an die Nibelungentreue erinnert, sondern Protagonisten der wachsenden Bundesrepublik Deutschland.

Ein durchgehendes Thema sind die Transformation und Konversion der Gebäude und des Geländes, die typisch sind für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts und sich vielfach auch andernorts finden. Die Kaserne wurde von drei unterschiedlichen Regimen genutzt. Sie wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs erheblich durch Fliegerangriffe beschädigt und dann teilweise neu aufgebaut. Und jetzt wird das Gelände zivil umgenutzt. Da haben wir also unterschiedliche Zeitschichten und fortwährende Anpassungen. Es gibt einerseits zeitspezifische Elemente, die genauen Ausprägungen das Kasernenlebens im Krieg waren andere als diejenigen in Friedenszeiten nach 1945. Zugleich jedoch existieren auch bemerkenswerte Traditionslinien: die speziellen Logiken des Militärs außerhalb der zivilen Welt, auch in der Phase, als sich Soldaten als Bürger in Uniform verstanden, oder die Funktionalität der Gebäude, die eben systemübergreifend genutzt werden konnten und wurden.

Im Laufe des ersten Jahrzehnts der 2000er Jahren veränderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend: Das Militär verschwand aus der Kaserne, die Hinterlassenschaften und das Areal mussten neu gefasst und genutzt werden. Die allermeisten Gebäude wurden dabei abgerissen, aber zwei ehemalige Bauten blieben stehen, wurden unter Denkmalschutz gestellt und sollen bewahrt werden. Eines davon ist das ehemalige Stabsgebäude der Kaserne. Es wird zu einem Internationalen Gästehaus von OTH und Universität Regensburg umgebaut, unter Wahrung seines Denkmalcharakters. Es besteht aus einem langgezogenen Haupttrakt und in L-Form dazu einem Nebenflügel mit Säulenhalle, ehemaligem Wachhäuschen und Gefängnistrakt. In der an die Moderne angepassten und verfremdeten Säulenhalle planen die Architekten einen Aufenthaltsraum, eine Art Lobby oder Casino.

Die digitale Präsentation zur Kasernengeschichte soll informieren und inspirieren. Sie thematisiert und kontextualisiert die verwickelte Gebäudebiographie als zeithistorischen Erinnerungsort, der wie unter dem Brennglas viele Entwicklungen des 20. Jahrhunderts spiegelt: ihre Problemzonen, tiefen Zäsuren und oftmaligen Konversionen, aber auch manche durchgehende Entwicklungslinien; die zahlreichen Ambivalenzen, mit Aspekten von baulich-funktionaler Modernität wie gewaltbesetzter Uniformierung, Disziplinierung und Repression; und am Ende auch die Herausforderungen, wie mit einem solchen historischen Erbe angemessen umzugehen ist, wie man es sich zeitgemäß aneignen kann im Schnittfeld unterschiedlicher Ideen und Anforderungen von Bauherren, Architekten, Denkmalschützern und Universitätsleben.

Erzählt werden ganz unterschiedliche Geschichten, die mit dem Kasernengebäude verbunden sind und ihm gleichsam entspringen – Geschichten zur Entstehung und Entwicklung der Kaserne; Geschichten zu den Menschen, die in ihr arbeiteten, lebten und litten; Geschichten zu den Wirkungen der Kaserne auf die Stadt und ihre Gesellschaft.

Nach der Vollendung und Eröffnung des Gästehauses wird die digitale ‚Ausstellung‘ überdies ergänzt um eine unmittelbar physische Präsentation. Sie zeigt in Treppenhaus und Eingangsbereichen des Gästehauses einige ausgewählte Aspekte der Kasernengeschichte, um dieses komplexe und komplizierte Erbe vor Ort sichtbar und anschaulich zu machen.

Beide Formate, die digitale Website wie die physische Ausstellung, sind ein Gemeinschaftswerk – im Laufe von zwei Seminaren unter Anleitung und Koordinierung von Prof. Dr. Bernhard Löffler erarbeitet von 18 Studierenden vornehmlich des Masterstudiengangs ‚Public History und Kulturvermittlung‘. Die Seminargruppe hat sich dabei mit einem Engagement beteiligt, das weit über das übliche Maß hinausging und das in bester Weise unterschiedliche persönliche Stärken, Interessen und Temperamente gebündelt hat. Zugleich gibt es verantwortliche Autorenschaften, teilweise auch Co-Autorenschaften für bestimmte Themenfelder, Abschnitte und Geschichten, die entsprechend namentlich gezeichnet sind.

Wir hoffen, dass sich Einzelgeschichten und Gesamtprofil zu einer schlüssigen Einheit zusammenfügen, damit unsere Anliegen anschaulich vermittelt werden und mit dem Thema Neugier geweckt werden kann. Dennoch – oder gerade deshalb – handelt es sich nicht um fertige, perfekte, marktgängige Designprodukte, sondern um das Ergebnis von experimentellen studentischen Werkprozessen im Feld der angewandten Geschichte.


Quellenangaben zu den Bildern in diesem Text:
1, 2, 4: Stadt Regensburg, Bilddokumentation
3: usarmygermany.com
5: Neumann & Heinsdorff Architekten

Kontakt:
Prof. Dr. Bernhard Löffler
Universität Regensburg
93040 Regensburg
E-Mail: bernhard.loeffler@ur.de.